Ich kenne den Text von Birgit Drescher - er war nicht wissenschaftlich fundiert, sondern schlichtweg falsch und ist hoffentlich inzwischen endgültig aus dem Netz verschwunden. Wildlebende Kaninchen bevorzugen eiweißreiche Kost, junge Gräser, Blattspitzen, junge Blätter ... und damit nehmen sie eine sehr energiereiche Kost auf, wenn man die Kost mal mit der Kost von Meerschweinchen, Pferden oder Schafen vergleicht (Klar, wenn man Kaninchen mit Katzen vergleicht, dann ist das Futter immer noch energiearm und faserreich, aber Katzen sind ja auch keine Pflanzenfresser). Kaninchen sind also am ehesten noch mit Reh und Ziege zu vergleichen. Dazu kommt, daß Kaninchen im Sommer und Herbst geziehlt reife Gras- und Kräutersamen futtern (nicht viel, aber immerhin) und durchaus Haferhalme, Maisstauden etc direkt übern Boden abnagen, die Pflanze zu Fall bringen, um sich an den reifen Sämereien zu laben. Im Winter werden Eicheln als Zusatzkost gefuttert. Selbst in Mastjahren übernehmen sich wildlebende Kaninchen keinesfalls an Sämereien und Eicheln, sondern mäßigen sich ganz von selbst - und können das auch prima in Gefangenschaft, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu läßt. Tatsächlich fressen Kaninchen, wenn man ihnen Samen im Futternapf so viel sie wollen anbietet, aber gleichzeitig für möglichst artenreiche Wiese und Wegrand sorgt, im Frühjahr bis zum Spätsommer so gut wie gar keine Sämereien, im Herbst und Winter dagegen fressen sie durchaus Sämereien, allerdings ohne, daß sie dadurch weniger Frischkost fressen würden im Vergleich zu Kaninchen, welche keine Sämereien im Winter bekommen. Klar - hier kann man ein wenig Frischfutter sparen, indem man einfach weniger Frischfutter im Winter füttert, haben die Kaninchen dann die Wahl zwischen Heu und Sämereien, werden sie die Sämereien dem Heu vorziehen ... ersetzt man das fehlende Frischfutter jedoch mit Nadelgehölz und Zweigen, passiert das nicht, die Kaninchen bevorzugen das Nadelgehölz und die Zweige, erst dann kommt in der Beliebtheit Samen. Auch das haben sie mit Rehen gemeinsam.
Wenn es den Chinchillas in ihren jetzigen Rückzugsgebieten am Rande ihres einstigen Vorkommens gut gehen würde, dann würden sie sich vermehren und wieder die alten Gebiete erobern - das ist jedoch nicht der Fall, sie haben nur in den äußersten Randgebieten ihres einstigen Vorkommens überleben können, da die Lebensraumzerstörung und die Jagd sie einfach an den Rand der Ausrottung gebracht haben, im eigentlichen ursprünglichen Lebensraum lebten sie mehr oder weniger im ganzjährigen Schlaraffenland. Dieses Schlaraffenland mußte großräumig Acker- und Weidekulturen weichen - kein Lebensraum für Chins. In den jetzigen Rückzugsgebieten hungern die Chinchillas, ohne die Hilfe von solchen Menschen wie Amy Deane, die für Anpflanzungen sorgen, wären die Chins vermutlich schon längst ausgestorben. Der ursprüngliche Lebensraum war nämlich das chilenische Matorral, noch am ehesten mit der Mittelmeerraumvegetation zu vergleichen, wobei allerdings in einem einzigen Tal schon fast so viele Pflanzenarten vorkamen, wie bei uns in Gesamteuropa! Nicht jedes Tal trocknete jedes Jahr aus, es gab genauso Täler, die ganzjährig grün waren. Im chilenischen Matorral kamen solche fruchttragenden Bäume, wie die Honigpalme, vor. Es wuchsen dort Erdbeeren, Berberitzen, jede Menge samenbildender Kräuter und Gräser ... zumindest im chilenischen trockenen Sommer dürften die Chins reichlich Früchte und Sämereien vorgefunden haben und mußten sich selbst beschränken können, wenn sie sich da nicht überfressen wollten. Wenn das unsere gekäfigten Chins nicht mehr können, heißt das nur, daß sie einfach durch vorhergehende Fütterung nen kaputten Darm haben oder aber so eine Art Sucht entwickelt haben.
Übrigens lebt der Degu auch heute noch im ehemaligen Chinchillaverbreitungsgebiet, hat das gleiche Verdauungsprinzip wie Meerschweinchen und Chinchilla (Kaninchen haben zwar auch einen immer gefüllten Magen, allerdings gehts dann spätestens ab Verbindungsstelle Blinddarm, Dickdarm, Dünndarm ganz anders weiter, Kaninchen verwerten keine Cellulose, Meerschweinchen, Degu und Chinchilla dagegen schon). Wildlebende Degus fressen ganzjährig Sämereien - deutlich mehr wie Chinchillas, aber weniger wie die echten Körnerfresser. Wenn Degus ganzjährig Sämereien fressen, heißt das, daß diese Sämereien auch ganzjährig für die Chinchillas verfügbar sein sollten - wenn wildlebende Chinchillas dennoch weniger Sämereien fressen, wie Degus, heißt das wiederum, daß Chinchillas eben erst gar nicht auf Sämereiensuche gehen. Selbst, wenn man Sämereien dort, wo noch wildlebende Chins leben, ausstreut, werden da eher andere Tiere bei gehen, wie die Chinchillas. Es ist also unnatürlich, wenn sich Chinchillas auf Saaten stürzen, aber keinesfalls unnatürlich, daß Chinchillas zumindest zeitweise mit beliebig vielen Sämereien klar kommen und sich selbst beschränken müssen.
Will man die Samengabe den natürlichen Verhältnissen im Ursprungsgebiet der Chinchillas anpassen, müßte man Samen eingraben oder im Käfig in der Einstreu verteilen, die Samendichte müßte in unserem Sommer gering sein und im Winter hoch - und man müßte möglichst Sämereien im Samenstand anbieten. Dann müssen die Chins in Gefangenschaft genauso nach den Samen suchen, wie in freier Natur und sich die Samen erarbeiten. Geht übrigens sehr gut, hab ich auch schon ausprobiert. Auf die Art und Weise hab ich sogar Unice dazu bringen können, keine Mehlsaaten mehr maßlos in sich hineinzustopfen, was sie vorher auch nach ner Woche machte.
Über rationierte Samengabe kann man Chinchillas übrigens dazu bringen, deutlich mehr Samen zu fressen, wie sie es bei ständig vollem Samennapf tun ... läßt man nen vollen Samennapf bei den Chins stehen, stürzen sich zwar Chins, die das noch nicht kennen, erstmal drauf, aber nach spätestens drei Tagen ist dieser Run auf die Sämereien nicht mehr zu beobachten, im Gegenteil, normalerweise werden dann erstmal fast gar keine Samen mehr gefressen. Normalerweise werden in der gesamten Zeit genauso viel Kräuter gefressen, wie ohne Sämereien. Die Chins kauen also mind. ebensoviel mit den frei zur Verfügung stehenden Sämereien, wie ohne. Die Ausnahmen, wo das nicht klappt, sind fast immer entweder stark psychisch gestörte Chins oder aber darmkranke Chins.
Daß es heißt, Chins auf gar keinen Fall Frischfutter geben, liegt an der Verkaufspolitik der ersten Pellethersteller. So wurde beispielsweise noch in der ersten Ausgabe von Eckardt noch Frischfutter empfohlen, aber nachdem er selbst Pellets herstellte, riet er in der zweiten Ausgabe, nur seine Pellets und keine anderen und ja kein Frischfutter zu verfüttern - reine Verkaufspolitik, weiter nix. Die gleiche Entwicklung, wenn auch nicht so krass, kann man auch an den Ausgaben von Bickel feststellen - und nicht nur die Deutschen stellten Pellets her, sondern es wurden weltweit Chinchillapellets vertrieben und weltweit der gleiche Rat gegeben, laßt das Frischfutter weg und kauft nur unsere Pellets, keine anderen. Daß es wieder salonfähig wird, daß auch Chinchillas Frischfutter fressen dürfen, ist eine recht neue Entwicklung der letzten Jahre.
_________________ Marx ist die Theorie
Murx ist die Praxis!
zum Thema Chinforen: Da muasch drieberschdeiga end derfsch di ned drum bucka
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