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 Betreff des Beitrags: Keine tierische Weisheit beim Fressen, sondern Daumenregeln
BeitragVerfasst: 08.01.2011, 02:33 
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Huhu,

ich bin kürzlich über ein Paper gestolpert, das mir die Augen etwas öffnete über eine Tatsache, die mir zwar implizit schon irgendwie bewusst war, ich es aber so nicht wahrnahm. Und zwar handelte es sich um ein Übersichtspublikation zum Thema Fressstrategien bei Herbivoren.

Angenommen wurde früher, dass Tiere eine Weisheit hätten, was sie fressen dürften und was nicht. Der Beitrag kam aber zum Schluss, dass das nicht der Realität entspricht, die Entscheidungen, was gefressen werden darf und was nicht, hängt von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere aber vom Lernen sprich Erfahrungen. Ein gewisser Teil ist auch vererbt, z.B. Abneigung gegen gewisse Geschmäcker. Das alles ist eigentlich nichts neues, wenn man es sich überlegt, auch schlüssig, aber ich glaube es ist wichtig genug, dass wir es nicht nur implizit irgendwie wissen und nicht so recht rüberbrigen können, oder wenn wir uns dessen genau bewusst sind.

Um noch etwas konkreter zu werden, die Tiere müssen anhand von sensorischen Informationen Entscheidungen treffen, was sie fressen können und was nicht. Zum Beispiel Greifvögel gehen unter anderem nach der Grösse und dem Verhalten der Beute. Ein eher grösserer Greifvogel, der einer kleinen Beute nachjagt, die noch sehr flink ist, wird irgendwann die Entscheidung treffen müssen, die Beute ist zu klein und/oder zu flink, der Aufwand, den ich da reinstecke für das bisschen Energie lohnt sich nicht. Schwieriger wird es bei Pflanzen, welche sich ja teilweise durch Frassschutzstoffe wehren. Hier fehlt ein solcher Sinn, der helfen könnte eine Entscheidung zu treffen. Hier geht es dann mehr auch noch über die Erfahrung, dass ein Tier sich daran erinnert, eine unreife grüne Frucht schmeckt nicht und diese in Zukunft meidet, dagegen die leuchtend farbigen Früchte sich als geniessbar merkt und sich auf diese konzentrieren wird.
Wichtig zu wissen ist auch, dass es unterschiedliche Konzepte der einzelnen Pflanzenfresser gibt, je nach dem ob sie gross sind oder klein, ob sie Grasfresser- oder Kräuterfresser sind, Wiederkäuer oder Enddarmfermenter usw.
Die einen müssen möglichst viel fressen und können daraus Energie gewinnen, andere fressen nur energiereiche Teile, zum Beispiel junge Triebe und Blätter, wieder andere haben sich vielleicht auf ein paar Futterpflanzen spezialisiert, die zwar giftig sind, aber deren Gift sie irgendwie entgiften können usw.

Hinter diesem Kontext wäre der Sinn des Probebissens natürlich sehr einleuchtend, erfüllt er doch eine sehr wichtige Aufgabe: er liefert sehr wichtige Informationen zur Pflanze, ohne dass das Tier sich damit gross gefährdet. Ist die Pflanze bitter, adstringierend usw. dann wird sie sehr wahrscheinlich nicht sehr bekömmlich sein, je nach dem nur in kleinen Mengen verträglich oder sie wird gleich ganz gemieden. Es gibt nämlich auch Schwellenwerte. Aber letztlich ist ein grosser Teil mit Lernen verbunden, die Tiere sammeln erfahrungen, verbinden diese mit sensorischen Reizen, zum Beispiel bei Ratten ist das Beispiel bekannt, dass eine harmlose Substanz mit einem Gift vermischt wird und die Ratten fressen das dann. Durch die Vergiftung lernen sie schnell, den Geschmack der harmlosen Substanz mit der Giftwirkung in Verbindung zu setzen, je stärker die Giftwirkung war, desto länger und intensiver ist die Aversion, je schwächer, desto eher verlieren sie diese wieder und gehen so gesehen die Gefahr ein, sich erneut zu vergiften (oder eben auch nicht). Dieser Mechanismus ist eigentlich sehr einfach, erklärt m.E. jedoch schlüssig, wie in etwa die Nahrungsselektion bei den Tieren funktioniert.

Erschienen war die Publikaiton übrigens 1994 im Journal of Mammalogy, verfasst von Cassini, der in den Jahren zuvor sich mit dem Fressverhalten von Meerschweinchen (Cavia aperea pamparum) sich beschäftigte.

Ach ja noch was, nicht alles was ich hier schrieb, stammt aus der erwähnten Publikation. Ich hatte vorher auch viel schon zum Thema gelesen, das mit den Ratten beispielsweise stammt aus Freeland & Janzen 1974 "Strategies in herbivory by mammals: the role of plant secondary compounds":
http://www.jstor.org/pss/2459891

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 Betreff des Beitrags: Re: Keine tierische Weisheit beim Fressen, sondern Daumenreg
BeitragVerfasst: 08.01.2011, 09:59 
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Pyramidenspitze
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Also so ganz 100 % überzeugt bin ich davon nicht ;-) Es mag zum Großteil stimmen, daß herbivore Tiere durch Erfahrungen gewisse Pflanzen mögen oder meiden.
Aber das instinktive Selektieren mag ich ihnen dennoch nicht ganz absprechen.
Wie sonst erklärt es sich, daß ein Chinchilla, das 17 Jahre lang mit Mischfutter ernährt wurde, wärend seiner schweren Blasensteinerkrankung fast ausschließlich sich von getrockneter Brennessel (Harntreibend...) ernährte? Nach der OP wurde Brennessel nur noch in "normalen" Mengen gefressen.

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 Betreff des Beitrags: Re: Keine tierische Weisheit beim Fressen, sondern Daumenreg
BeitragVerfasst: 08.01.2011, 11:04 
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Pyramidenspitze
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Die harntreibende Wirkung von Brennessel ist sehr schnell zu spüren ... das sollte nicht mal ein paar Stunden von Probebiß an dauern, und Chinchilla weiß, daß es genau das braucht ... dazu kommt, daß in den Pellets die meisten Wirkstoffe der Brennessel durchaus enthalten sein können, angefangen von Kieselsäure bis hin zu einigen Eiweißen aus der Brennessel, die beispielsweise über die berühmten Berkel Gold in den Futternapf gelangt sein können.
Chinchillas scheinen sich nicht die Pflanzen selbst zu merken, sondern ähnlich wie Ratten ne Wirkstoffdatenbank anzulegen, selbst ihnen absolut fremde Pflanzen, welche jedoch keine neuen Inhaltsstoffe enthalten, werden sofort gefressen wie die schon bekannten Pendants dazu (eig. Beob.)
Kaninchen lernen hier ihre Futterpflanzen ganz anders, die lernen tatsächlich Pflanze für Pflanze ...

Dennoch gibt es angeborene Mechanismen, welche ein grobes Gerüst vorgeben, was Freßbar ist und was nicht. Kaninchen werden keine Vögel jagen, Katzen keine Brennessel abweiden und son Schwarzmilan kommt auch nicht auf die Idee, im Acker nach Würmern zu buddeln ...

Bei Pflanzenfressern und Allesfressern ist zudem ein Grundgerüst an Soll-Geschmäckern angeboren. Bestimmte metallische Nachgeschmäcker beispielsweise deuten auf giftig, man wird vorsichtig, auch wenn es sich um eine absolut gesunde Pflanze handelt. Beim Menschen sind die Bedeutung der Grundgeschmäcker sogar schon bei Säuglingen nachweisbar, süß wird gern geschlabbert, bitter wird mit Abscheu reagiert und salzig gibts auch nen eigenes Gesicht dafür. Dabei sind die Geschmackssensoren und die Verarbeitung von Geschmack bei Säuglingen nicht mal ausgereift!
Nur das Feintuning letztendlich muß erlernt werden - wobei durchaus Pflanzen als Futterpflanzen über Lernen akzeptiert werden können, die normalerweise aufgrund des angeborenen Geschmackes gemieden werden, welche sich allerdings über Erfahrung als gute Futterpflanzen erweisen.

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 Betreff des Beitrags: Re: Keine tierische Weisheit beim Fressen, sondern Daumenreg
BeitragVerfasst: 12.01.2011, 20:35 
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Huhu,

ich hab dieses Thema irgendwie etwas vergessen, aber ich greife es nochmals hoch.
Murx hat da eigentlich schon gut beschrieben, worauf ich hinaus wollte.
Ich beschreibe es jetzt aber doch nochmals in eigenen Worten, insbesondere etwas detaillierter.

Die Studie, auf die ich mich beziehe, untersuchte das Selektionsverhalten von Säugetieren und die daraus aufgestellten Theorien. In der Einleitung geht es um Allesfresser, konkret um die Ratte, bei der die Nahrungsselektion sehr gut untersucht ist. Der Hauptteil des Artikels beschäftigt sich dann mit Herbivoren. Dabei zeigen sich Unterschiede zu Allesfressern (Ratten), welche deutlich besser giftige Pflanzen erkennen und diskriminieren können als Wiederkäuer, aber auf der anderen Seite zeigen auch Meerschweinchen Lernverhalten zur Vermeidung von giftiger Nahrung ähnlich wie Ratten. Das legt aus meiner Sicht die Vermutung nahe, dass die "hindgut fermenter", also die Tiere, welchen die Gärkammer Blinddarm dem Magen nachgeschalten ist, besser Giftpflanzen erkennen und ausselektieren können als die Wiederkäuer und daher wohl auch mehr selektiv sich ernähren.

Dann zu den Mechanismen, die bei der Nahrungsselektion spielen, welche nicht vom Lernen abhängen:

1. "Nährstoffhunger": Bei Mangel eines bestimmten Nährstoffs (z.B. Mineral) zeigen die Tiere eine Präferenz für Pflanzen/Nahrung, welche erhöhte Mengen von diesem Nährstoff enthalten.

2. Nicht gelernte Präferenzen: Es gibt einfache Muster, was als gut oder schlecht empfunden werden, die nicht gelernt werden, sondern seit der Geburt existieren, zum Beispiel dass süsse Nahrung gemocht wird (und wohl auch energiereiche, stickstoffreiche usw.) und bittere Nahrung eher abgelehnt wird.

3. Neophobie: unbekannte Nahrungsmittel werden anfänglich abgelehnt oder nur in sehr kleinen Mengen gefressen.

Beim Lernen gibt es wiederum auch verschiedene Formen, die eine Rolle spielen:

1. Assoziatives Lernen: Die Tiere verbinden Eigenschaften einer Nahrung (Geschmack, Geruch, Farbe usw.) mit der Auswirkung, welche die Nahrung auf ihre Gesundheit hat. Verursachen Toxine eine Vergiftung, werden ähnliche Nahrungsmittel ebenfalls abgelehnt.

2. Soziales Lernen: Was gefressen wird, das hängt auch von der Nahrungsauswahl der Artgenossen ab. Was Eltern oder andere Artgenossen fressen oder nicht fressen, beeinflusst die Ernährungsauswahl.

3. Prägung: Was in den ersten Tagen nach der Geburt gefressen wird, prägt die Nahrungsvorlieben der Tiere massgebend. In dieser sensiblen Phase werden wesentliche Grundsteine zur Nahrungsselektion gelegt.


Dann zur vermuteten Vorgehensweise bei Pflanzenfresser, wenn sie Nahrung selektieren. Es wird vom Autor vermutet, dass die Strategie zur Nahrungswahl sich durch die Evolution herausgebildet hat und auf einfachen Entscheidungs-Regeln basiert, eben sogenannten Daumenregeln. Das bedeutet mit anderen Worten, dass die Tiere einem komplexes Ergebnis (das optimale Modell zur Nahrungsselektion) durch einfache Regeln versuchen möglichst nahe zu kommen. Solche Regeln können beispielsweise sein, junge proteinreiche Gräser zu fressen, Stängel und alte ledrige Strauchblätter nur in sehr geringen Mengen zu fressen usw.
Die Tiere müssen also nicht genau Kenntnis haben, sondern haben vereinfachende Regeln, um komplexere Regeln möglichst identisch nachzubilden. Insofern sind wir auch wieder beim Thema Theorie und Nachbildung in der Realität, dass in der Natur eben nicht alles optimal ist, aber es gibt immer wieder Tendenzen zu einem gewissen Optimum, das mal mehr, mal weniger erreicht wird, meist durch gewisse regelnde Mechanismen kann in der Natur ein solcher theoretisch idealer Zustand mehr oder weniger eingehalten werden. Einfache Beispiele dafür gibt es viele: Fressen und Hunger Regulation, dass das Tier nicht zu viel (verfettet und unbeweglich wird) und auch nicht zu wenig frisst (verhungert), die Regulation der Körpertemperatur, Mechanismen zur Vermeidung von Überhitzung (schwitzen, Wärmevermeidung oder Wärmeableitung) oder Unterkühlung (Wärmeerzeugung, Isolation), usw.

Die besagte Quelle:

Cassini, M.H. (1994): Behavioral mechanisms of selection of diet components and their ecological implications in herbivorous mammals. Journal of Mammalogy 75(3): 733-740.

Ein guter Teil, den ich hier auch noch angesprochen habe, stammt nicht aus der obigen Quelle, kann aber entweder in einem guten Tierphysiologiebuch nachgelesen werden oder was das Selektionsverhalten bei Ratten angeht, dazu gibt es spezielle Studien, ich glaube eine der ertragreichsten ist von Freeland & Janzen (1974, American Naturalist 108: 269-289).

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 Betreff des Beitrags: Re: Keine tierische Weisheit beim Fressen, sondern Daumenreg
BeitragVerfasst: 12.01.2011, 23:37 
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Pyramidenspitze
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Zitat:
Dabei zeigen sich Unterschiede zu Allesfressern (Ratten), welche deutlich besser giftige Pflanzen erkennen und diskriminieren können als Wiederkäuer, aber auf der anderen Seite zeigen auch Meerschweinchen Lernverhalten zur Vermeidung von giftiger Nahrung ähnlich wie Ratten. Das legt aus meiner Sicht die Vermutung nahe, dass die "hindgut fermenter", also die Tiere, welchen die Gärkammer Blinddarm dem Magen nachgeschalten ist, besser Giftpflanzen erkennen und ausselektieren können als die Wiederkäuer und daher wohl auch mehr selektiv sich ernähren.

Was hier mal wieder nicht beachtet wurde, ist, daß Ratten nur eine sehr kurze Lebensspanne haben, sie müssen also innerhalb weniger Wochen erlernen, was sie fressen können und was nicht. Ein Rind dagegen hat die gesamte Säugezeit über Zeit, erst aus dem Geschmack der Muttermilch, später durch selbst probieren und mit dem Muttermilchgeschmack vergleichend seine Nahrungspflanzen kennenzulernen.

Wenn ich nun allerdings Kälber mit Milchaustauscher aufziehe oder die Mutterkuh sich von sowas unnatürlichem, wie Soja und Getreide ernähren muß, fehlt dem Kalb die Möglichkeit, zu erlernen, was giftig ist oder nicht ... und dennoch, stellt man die Rinder ins Naturschutzgebiet, lernen sie nach relativ kurzer Zeit Giftpflanzen genauso zuverlässig zu meiden, wie Ratten auch ...
Rinder, welche von Kühen aufgezogen wurden, die schon im Naturschutzgebiet die ganze Zeit haben weiden müssen und eben schon gelernt haben, Giftiges von Ungiftigen zu unterscheiden, probieren nicht mal mehr Giftpflanzen bzw setzen Medizinalpflanzen ein, ohne auch nur vorher einen Probebiß getätigt zu haben - sie wissen aus der Muttermilch, wie welche Pflanze riecht und schmeckt und was sie bewirkt.

Das wiederum kann die Ratte nicht ...

Die besten Giftpflanzenselektierer finden sich übrigens bei den Wiederkäuern, das sind nämlich nicht die Ratten, sondern Rehe und Ziegen, dicht gefolgt von Feldhasen und Kaninchen.

Es gibt noch etwas, was nur wenig berücksichtigt wird ... die Giftresistenz ...
Nur, weil Kaninchen hochgiftigen Feldrittersporn wie Salat fressen und Eibentriebe im Frühjahr knabbern, heißt das noch lange nicht, daß sie schlecht selektieren würden - es heißt nur, daß ihnen die Gifte dieser Pflanzen nix ausmachen und sie deshalb diese Pflanzen nutzen!
Selbst, wenn Kaninchen überraschenderweise konventionellen Kohl vor Biokallisie vorziehen, heißt das keineswegs, daß sie die Pestizide im Kohl nicht erkannt hätten, sondern es heißt lediglich, daß der eiweißreiche Kohl den Kaninchen so viel bietet, daß sie das bischen Gift darinne in Kauf nehmen, die Kallisie dagegen für sie nix weiter wie nährstoffloser Ballast ist ... warum also sollten sie Biokallisie vorziehen, wenn sie weitaus mehr Eiweiß in höherer Qualität und höherer Konzentration schadlos haben können?
Vor diesem Hintergrund bekommt auch das Fraßverhalten der Rinder eine ganz andere Bedeutung ... sie selektieren nämlich auf eine möglichst hohe Abwechslung hin, um ihre Pansenkulturen möglichst vielseitig zu halten - womit sie jedoch gar nicht klarkommen, ist, wenn ihre Pansenkultur schon so artenarm geworden ist durch einseitige Ernährung, daß sie eine bestimmte Pflanzenvielfalt schon gar nicht mehr nutzen können ... bekommen sie die Gelegenheit, Kot von abwechslungsreich ernährten Rindern aufzunehmen, vergiften sie sich bei gleicher Selektion nicht mehr, da sie die verlorengegangenen Bakterien wieder aufnehmen können.

Vor diesem Hintergrund gibts dann noch ein Problem, dem das Rind gegenübersteht, wenn es auf zu kleinen Weiden gehalten wird, es kann nicht mehr auf Weidestücke mit passender Artenzusammensetzung ausweichen, wenn also der weiße Germer viel auf der viel zu kleinen Weide wächst, ist schnell die Weide rund um den Germer abgefressen und das Rind hat die Wahl: Entweder die Stellen mit dem Germer futtern und sich vergiften oder die Pansenkulturen hungern lassen - das Rind wird sich für Vergiften entscheiden ... die Pansenkulturen sind einfach zu wichtig für das Rind, um sie verhungern zu lassen.

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 Betreff des Beitrags: Re: Keine tierische Weisheit beim Fressen, sondern Daumenreg
BeitragVerfasst: 13.01.2011, 11:20 
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Murx, ich hab jetzt nicht alles gelesen, aber ein kurzer Einwand meinerseits:
Wiederkäuer wie Rinder und Kühe haben gar nicht so feine Möglichkeiten der Futterselektion wie zum Beispiel Ratten und andere Kleinsäuger (ich denke auch Meerschweinchen können deutlich gezielter selektieren). Das wird unter Umständen dann zum Problem, wenn die Kühe Eisendrähte, Nägel usw. fressen, die sich im Gras befinden, das sie fressen.

Zitat:
Wenn ich nun allerdings Kälber mit Milchaustauscher aufziehe oder die Mutterkuh sich von sowas unnatürlichem, wie Soja und Getreide ernähren muß, fehlt dem Kalb die Möglichkeit, zu erlernen, was giftig ist oder nicht ... und dennoch, stellt man die Rinder ins Naturschutzgebiet, lernen sie nach relativ kurzer Zeit Giftpflanzen genauso zuverlässig zu meiden, wie Ratten auch ...

Dennoch haben Kleinsäuger feinere Möglichkeiten der Kontrolle was gefressen wird... das hat gar nicht unbedingt etwas mit Giftpflanzen zu tun sondern einfach mit der Art und Weise wie sie fressen und verdauuen (siehe oben).

Zitat:
Es gibt noch etwas, was nur wenig berücksichtigt wird ... die Giftresistenz ...
Nur, weil Kaninchen hochgiftigen Feldrittersporn wie Salat fressen und Eibentriebe im Frühjahr knabbern, heißt das noch lange nicht, daß sie schlecht selektieren würden - es heißt nur, daß ihnen die Gifte dieser Pflanzen nix ausmachen und sie deshalb diese Pflanzen nutzen!

Behaupte ich doch auch nicht ;).
Dass die Giftresistenz auch noch dazu kommt ist klar, hat aber bei der obigen Studie wenig Bedeutung, da es eine Review ist über Reviews, also so quasi etwas Metastudienähnliches und relativ theoretisch das Ganze. Wollten wir in die Details gehen, gäbe es selbstverständlich noch so manchen Aspekt, den man berücksichtigen könnte, denn das Thema ist so umfassend, man könnte Bände damit füllen.
Dennoch bedeutet Giftresistenz nicht, dass nicht auch haargenau selektiert werden kann. Es liegen einfach die Toleranzschwellen höher und die Tiere können sich ein generalistischeres Fressverhalten erlauben, was bei Herbivoren durchaus sinnvoll ist, die von einer abundanten aber nicht sehr nährstoffreichen Nahrungsquelle abhängen.

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 Betreff des Beitrags: Re: Keine tierische Weisheit beim Fressen, sondern Daumenreg
BeitragVerfasst: 13.01.2011, 15:40 
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Zitat:
Wiederkäuer wie Rinder und Kühe haben gar nicht so feine Möglichkeiten der Futterselektion wie zum Beispiel Ratten und andere Kleinsäuger (ich denke auch Meerschweinchen können deutlich gezielter selektieren). Das wird unter Umständen dann zum Problem, wenn die Kühe Eisendrähte, Nägel usw. fressen, die sich im Gras befinden, das sie fressen.

Ich hab ja die Rinder meines Bauern auf diversen für Rinder nicht geeigneten Wiesen beobachtet ... sie sind tatsächlich in der Lage, zwischen zwei dicht beieinanderstehenden Herbstzeitlosen die Pflanzen rauszufressen, ohne auch nur ein winziges Stück Blatt oder Blütenblatt, je nach Jahreszeit, von der Herbstzeitlose mit aufzunehmen. Ich hab auf den Herbstzeitlosenwiesen die Herbstzeitlosen gezählt und kartografiert (photografieren ging nicht, weil ich keinen geeigneten Photoapparat hatte, werd ich jedoch dieses oder nächstes Jahr nachholen). Es fehlte nicht ein einziges Teil der Herbstzeitlosen, trotzdem teilweise Gräser und Kräuter zwischen den Herbstzeitlosen von den Rindern fast bis auf die Wurzel abgefressen waren ... sicher, sie umfassen normalerweise mit ihrer Zungen ganze Pflanzenbüschel und alles, was dadrinne ist, wird halt ins Maul geschaufelt, dennoch haben sie Möglichkeiten, auf das Grashälmchen genau zu bestimmen, was sie runterschlucken!
1. Die Nase ist sehr breit ausgelegt, durch die immer feuchte Nase und die beiden weit auseinanderstehenden Nasenlöchern können Rinder etwas, was Ratten nicht können: Dreidimensional riechen ... sie wissen alleine nur über den Geruch, was genau wo in direkter Reichweite ihrer Zunge rumwächst und rumliegt. Ratten müssen ihre Nase direkt ans Futter heranführen, teilweise nehmen sie Futter auf, lassen es fallen, riechen noch mal dran, bevor sie es fressen - das Prüfverfahren per Geruchskontrolle ist also beim Rind deutlich schneller und flächendeckender, aber keinesfalls weniger auflösend.
2. Die Zunge ist besetzt mit jeder Menge Geschmackspapillen ... auch, wenn das Rind einen möglichst großen Pflanzenbüschel mit der Zunge umgreift und dann abrupft, schmeckt sie dabei, was sie da so abrupft. Sollte das Geruchsbild eine giftige Pflanze, einen Nagel oder ähnliches nicht erfaßt haben, so wird es auf der Zungenoberfläche gemeldet ... das Rind holt zwar das gesamte Büschel samt unerwünschter Pflanze ins Maul, läßt jedoch geziehlt alles über ihre Mundwinkel herausfallen, was nicht freßbar oder gar giftig ist.
Das Sortierverfahren ist dem der Ratten durchaus vergleichbar ... aber deutlich effektiver, denn es können deutlich größere Happen auf einmal nach Bekömmlichkeit durchgescannt werden, wie die Ratte mit ihrem Direktprüfverfahren. Weiterhin können auf die Art und Weise deutlich größere Mengen Nahrung auf einmal aufgenommen werden, wie es eine Ratte je könnte ...

Rinder, die sich vergiften, stehen entweder auf abgegrasten Wiesen und haben gar keine Möglichkeit, wie zu hungern oder aber Ungeeignetes zu futtern, oder es handelt sich um Rinder, welche mit Silage, Kraftfutter etc hauptsächlich gefüttert werden und zudem auch noch meist mit Milchaustauscher aufgezogen wurden. Sie sind also vergleichbar mit Ratten, welche nur Laborpellets und Wasser kennen - und diese Laborpelletratten vergiften sich genauso schnell oder langsam wie Rinder, da gibts keinen Unterschied!

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